„Ich grabe tiefe Löcher, abseits der Stadt, bedecke sie mit Astwerk, entführe Mann für
Mann, schleppe sie in mein Versteck, fresse Angst und Sperma, heuchele, mich durch
Stillschweigen erweichen zu lassen, verspreche Freiheit und schenke den Tod, indem ich
voll ekstatischem Hochgenuss und langsamen Schnitt ihre Kehlen öffne und über ihrem
Sterben onaniere.“
(Hagrimur, aus "Die Gärten des van Eral", in Arbeit)
Jeder kennt den eisigen, Gänsehaut überziehenden Schauer beim Konsumieren eines gut
gemachten Horrorfilms.
Der Vorteil solcherlei Adrenalinräusche ist die Distanz zum Geschehen. Hinterher kann
man sich aus seinem bequemen Sessel erheben, die Chipsreste aus dem Schoß klopfen, das
Glas Wein austrinken und beruhigt ins Bett gehen.
Was aber ist mit den Kreaturen, die sich nicht entziehen können, die durch vielleicht
jahrelanger Tortur in Form von körperlicher und seelischer Gewalt in sich ein
unkalkuliertes Potential an grausamen Phantasien und Rache angehäuft haben, dessen
unfassbare Qualen allein durch mörderische Exzessen Linderung versprechen, und dies
auch nur für einen Moment?
Wenn das Blut getrocknet ist, beginnt zunächst das Pochen, aus dem ein Klopfen, Schlagen
und letztendlich eine entfesselte Seelenschlacht wird, deren Schmerzen den Geschundenen
erneut zur Entladung treibt?
Wer entsetzt mit dem Kopf schüttelt und es kategorisch ablehnt, sich in irgendeiner Weise
mit solch schrecklichen Dingen zu identifizieren, sei gefragt:
Wissen wir wirklich, wer wir selber sind?
Haben wir eine Vorstellung vom Gewaltpotential des menschlichen Geschlechts, das nicht
unwesentlich zu unserem Erfolg beigetragen hat?
Glauben wir, dass uns die Zivilisation Absolution erteilt und wir für alle Zeiten
friedlich miteinander umgehen und leben werden?
Und wie erklären sich Kriege? Eine vom Fallen jeglicher Konvention und Normen
entfesselten Soldateska, fällt wie die Furien in die blühenden Gärten der Zivilisation
und hinterlässt unfassbare Schreckensbilder von vergewaltigten, aufgeschlitzten Frauen
jeglichen Alters, abgeschlagene Köpfe junger Männer, bis zum Skelett abgemagerte
Gestalten, die in Konzentrationslagern verrotten und vieles Unaussprechliches mehr.
Was ein Mensch im Großen, Offensichtlichen anzustellen in der Lage ist, vermag er auch
im Privaten, Verborgenen, Heimlichen zu tun.
Und dessen Konsequenzen sind nicht weniger brutal und entsetzlich.
Gewalt wird immer den Schwächsten angetan und hier zu allererst Kindern.
Geprägte, ja gestörte Erwachsene, mit ebenso viel erlebten Schlechten in den Seelen,
handeln nach erlernten Mustern und vergehen sich, an gerade erst beginnendes,
jungfräuliches Leben, das nie wieder gut zu machende Schäden davon trägt.
Gewalt muss kein Einzelakt sein. Es gibt auch die permanente, über Jahre ausgeübte,
sowohl physisch, als auch perfide, psychische Gewaltanwendung, die direkt in den
unschuldigen Kosmos eines Kindes eindringt und nicht weniger grausam wütet, wie die
Mörder im Kriegsgebiet.
Die Seele wird zum Kriegsgebiet.
Fehlende Mutterliebe ist durch nichts zu ersetzen. Dieses Urvertrauen kann nur ganz zu
Beginn eines Lebens hergestellt und konserviert und niemals nachgeholt werden.
Der Verwundete wird in seinem Streben nach Liebe, Glück und Harmonie immer wieder
scheitern, weil die Art, wie er was fordert, nichts mit den Normen zu tun hat und auf
Ablehnung stößt.
Daraus resultiert eine stetig anwachsende Frustration, die das Bündel an früheren
Verletzungen obendrein hinter sich herzieht.
Psychische Störungen sind die Folge.
Bereits hier wird klar, das Böse ist nicht per se` schlecht durch Geburt, es wird
dazu gemacht.
Das sollte man sich in der Beurteilung immer vor Augen halten.
Wir können sie nicht erkennen. Sie tragen kein Stigma auf der Stirn. Sie sind gefährlich,
ein brodelnder Kosmos an Wut, Rachegelüsten, Vergeltungssucht, die sich nur in
Ausnahmefällen auf den Verursacher ihrer Qualen bezieht und an ihm vollstreckt wird.
Eine Mutter bleibt Mutter. Objekt der Liebe und Verehrung, Projektionsfläche sämtlicher,
positiver Ambitionen und Träume.
Deshalb überträgt sich der Hass auf das Weibliche oder Männliche im Ganzen. Der Gequälte
selbst stigmatisiert und bestraft und oft in der gleichen Weise, wie er es erlebt hat.
„Entfesselung, Gespielin! Herrlichkeit entmachteter Hoffnung. Lasse den Dämon los, mit
glühendem Stahl und Entzug kasteit. Erhebe den Flug deines Willens ins uferlose Wann
verworfener Traumbilder, dass die Seelenmembran zerreißt, an deiner Klauen Ungeduld!
Herrlichkeit! Herrlichkeit! Tod wabernde Sümpfe, ätzendes Blutgefließe, eiternder
Wunden, endliche Zauber kastrierende Einhelligkeit, in die alles fließt, was das Licht
zu halten versucht.
Schlafe nicht Dämon. Herrlichkeit stinkender Verwesungszeremonien. Deinerlei Geschlecht
bespringt die Föten ausgemergelter Abtreibungsgelage und wirft eine Brut aus, derer sich
die Beidseitigen bedienen und Qual und Hölle spucken, in das zuckende Herz. Oh
Herrlichkeit.“
Sie hatte etwas mütterliches, ja madonnenhaftes. Eine unerklärliche Aura umgab sie,
deren Schleier nur durchstoßen wurde, von ihren herzzerreißenden Worten, dem matt
schimmernden Rouge und einem Hauch Nichts, mit einer verführerischen Note Paradies-
Cloe`. Eine, in jeder Faser distinguierte Erscheinung, die durch den Tod ihres Gatten
in sein Leben getreten war.
„Mein lieber Herr Eral! Wie kann es sein, dass ein so stattlicher, gutaussehender Mann
wie Sie es sind, der derart sensibel auf die Menschen zugeht, sie tröstet und viele
Referenzen von seinen Klienten, in so unterschiedlicher Form bekommt, Liebe also zurück
erhält, so traurig ist und an sich selber zweifelt? Sie haben doch Freunde! Sie haben
eine Arbeit, die sie erfüllt und - Sie beugt sich weit zu ihm herüber, sodass er ihr
Parfum inhaliert und es kosmisch findet - Sie haben mich!“
Mit tiefem Seufzer wiegt sie sich in ihren Sessel zurück, ohne ihren liebevollen Blick
von ihm abzuwenden.
Nati sieht sie an. Eine Marienerscheinung, denkt er. Ihm ist unbegreiflich, dass so viel
Herzlichkeit nicht in ihn eindringen kann, um den bleiernen Schmerz der Einsamkeit und
körperlichen Sehnsucht nach dem entschwundenen Geliebten zu lindern.
„Er tat Ihnen doch nicht gut! Begreifen Sie doch, selbst jetzt quält er Sie noch, mit
diesen unsinnigen Nachrichten und das nach mehr als zwei Jahren! Was für ein Scheusal
muss er sein, so er sich doch bewusst sein muss, was er mit seinen erneuten Worten
anrichtet. Er weiß doch, dass Sie ihn lieben. Besser, er sollte es wissen. Sie bedeuten
ihm nichts. Glauben Sie mir. Wenn er nur ein Fünkchen Anstand, oder gar Liebe in sich
hätte, würde er Sie in Frieden weiterleben lassen!“
Sie ergreift seine Hände. 58-zig jährige Hände mit langen, gepflegten Fingern und Nägeln
mit Perlmuttnagellack aus der Boutique, sündhaft teuer, wie überhaupt alles, in was die
Dame gehüllt ist.
Er kneift die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen, so als versuchte er, sich ihrer
eindringlichen Blicke zu entziehen. Deutlich konnte er für den Bruchteil einer Sekunde
ihre abgrundtiefe, durch nichts zu erschütternde Güte fühlen, die aber sogleich in einem
Schwall unerklärlicher Aversion ertrank.
Stechender Schmerz in den Schläfen. Und das Herz! In seiner Seele begann sich die
zusammen gekauerte, rattenhafte Gestalt mit dem Schweinegesicht und dem ekelhaften
nackten Schwanz, auf dem sich struppige Borstenfelder befinden, zu regen und aus dem
nassen Schlamm empor zu hieven.
An Natis Peripherie klangen die Glocken der Seligkeit und versuchten weiter
unerschütterlich, den bleischwarzen Mantel seiner Finsternis zu entfernen. Glockenklänge
und paradiesischer Duft.
Das gelbzahnige Fellvieh räkelte sich, wischte mit den dreckigen Klauen Reste
vergifteter Lymphe aus den weißen Augen, blickte schnarrend und zischend nach oben,
wo es den Ausgang aus dem dunklen Seelenverließ vermutete. Aber es gab keinen.
Unruhig wetzte es die Zähne, begann einen wilden Galopp im Kreis, stieß anschwellende
Schreie aus und sprang in Intervallen gegen die Wände.
Nati geriet in einen Gefühlsstrudel. Er war in der Lage zu erkennen, was sich vor seinen
Augen abspielte, glaubte das Gute zu sehen, wollte dankbar sein, sich wohl und sicher
fühlen. Doch dazwischen und in immer kürzeren Intervallen ertrank er in Bildern, die
eine nie gekannte Grausamkeit offenbarten, der er sich nicht entziehen konnte.
Er schüttelte den Kopf. Er griff sich an die Schläfen. Er raufte sich die Haare. Nichts
half. Ekstase bemächtigte sich seiner, die ihn vollends besinnungslos machte, als hätte
er Hasch geraucht. Nur kurzeitig belichteten sich reale Bilder, in denen er die wachsende
Besorgnis seiner Besucherin entdeckte, die in Entsetzen umschlug.
Sich seiner sinnlosen Bemühungen bewusst, hielt das Tier inne. Es lauschte. Himmlische
Worte drangen in die Dunkelheit, die es wie Peitschenhiebe marterten und aufheulen ließen.
Lauernd zog es sich in eine Ecke des finsteren Universum zurück, sodass der kalte
Schwanz gegen die Membran gequetscht wurde, harrte Sekunden, um mit einem mächtigen Satz
schreiend gegen die gegenüberliegende Wand zu springen, zurückzusetzen, erneut zu
springen. Raserei!
Dabei formte sich das elende Gekreische und Gefauche zu menschlich anmutenden Worten,
die ihren Weg nach oben fanden. „Zerreißen! Augen ausstechen! Reiß ihr die Gurgel raus!
Tritt in den Bauch und friss den Goldschmuck. Ersticke den Schrei mit deiner Faust in
ihrem Rachen! Trampele auf ihr herum, bis nichts als Brei übrig ist!“
Ohrenbetäubende, irre Schreie. Nati wälzt sich in seinem Schmerz. Der Dämon tobt wie
eine aus der Kontrolle geratene Zentrifuge, schmeißt ihn von einer Seite des Zimmers
in die andere. Gestank nach Blut, Darminhalt, Augengelatine und Qualm von der
umgestoßenen Kerze, deren Feuer eine Serviette entzündet hat.
Er hyperventiliert, muss sich erbrechen, schwimmt im eigenen Schweiß und Scheiße, hält
in seinen blutverschmierten Händen die zerbrochene Brille und blickt, langsam
zurückkommend, auf sein zerrissenes Hemd.
Dann erst gibt der Dämon Ruhe. Erschöpft sinkt er zuerst in die Knie, dann ganz in den
Dreck, rollt sich zusammen wie ein Fötus und schläft, dem Tode nah.
Aus abgründiger Tiefe löst sich ein entsetzlicher Schrei, der in einem Kissen erstickt.
Nati fällt ohnmächtig zur Seite.
("Die Gärten des van Eral", Donath, noch nicht erschienen)